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Im Interview mit Nicolas Kneip

Head of Research der Wiener Privatbank 

 

 

 

 

 

 

 

 

Welche Entwicklung der globalen Wirtschaft erwarten Sie im 1. Halbjahr 2021?
 

Nach dem Krisenjahr 2020, das mehr als jemals zuvor von einem einzigen Thema-nämlich COVID 19- geprägt war, erwarten wir auch im ersten Halbjahr 2021 noch eine gedämpfte Wirtschaftsentwicklung. Nach dem Abklingen der ersten Impfeuphorie, könnte es bedingt durch weitere Lockdowns, die Verbreitung neuer Covid-19 Mutationen, oder einen schleppenden Fortschritt bei den Impfungen, zu leichten Rückschlagen kommen, die in einer Kurskorrektur münden. Folglich erwarten wir in den ersten Monaten des neuen Jahres volatile Märkte.
Im zweiten Halbjahr gehen wir hingegen davon aus, dass sich die allgemeine Situation in den Industriestaaten, getrieben von einer hohen Impfrate, wieder der „Normalität“ annähert. An den europäischen Aktienmärkten erwarten wir daher nach dem starken Aufschwung der vergangenen Monate, zunächst volatile Tendenzen, die insbesondere in der zweiten Jahreshälfte nochmal an positiver Dynamik gewinnen und insgesamt in einem starken Aktienjahr 2021 resultieren sollten.

Wie sehen sie die Entwicklung des österreichischen Marktes im internationalen Vergleich?
 

Insgesamt hat der österreichische Markt innerhalb der vergangenen Monate bereits einiges des entstandenen Aufholpotentials ausgeschöpft. Nach dem Ausbruch der Pandemie wurde der zyklische ATX deutlich stärker getroffen als seine internationalen Pendants und war kurzfristig nahezu 50% im Minus.
In weiterer Folge konnte sich der österreichische Leitindex nur verhältnismäßig langsam erholen und war bis Ende Oktober immer noch mehr als 30% im Minus während andere Indizes wie der DAX oder der S&P 500 schon wieder knapp an ihren Vorkrisenniveaus waren. Doch nach der, für viele erlösenden, Nachricht der erfolgreichen Entwicklung eines Covid-19 Impfstoffes von Biontech/Pfizer bzw. Moderna, konnten insbesondere zyklische Unternehmen aus Branchen wie Banken, Öl und Gas, Industrie, oder Automobil deutliche Zuwächse verzeichnen.
Da der ATX von Einzeltiteln aus diesen Industrien dominiert wird, konnte der heimische Leitindex, wie bereits zu Beginn erwähnt, einen großen Teil seines Rückstandes auf die internationale Konkurrenz wieder wettmachen. Inwieweit sich dieser Trend nun fortsetzen wird hängt aus unserer Sicht von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab. Wie schnell kann eine breite Durchimpfung der Bevölkerung sichergestellt werden? Wie stark breiten sich potentiell ansteckendere Mutationen auf dem europäischen Kontinent aus? Inwieweit bieten die bisher bekannten Impfungen auch Schutz gegenüber den neuen Mutationen?
Dies werden die entscheidenden Fragen für die Entwicklungen der Aktienmärkte bleiben. Je positiver die Antworten auf diese Fragen ausfallen werden, umso stärker sollte die Wirtschaft und in weiterer Folge der zyklisch dominierte ATX profitieren. Je mehr Rückschläge es geben sollte, umso größer wird aus unserer Sicht die negative Reaktion des heimischen Leitindex ausfallen.
Der ATX hat auch in dieser Krise eindrucksvoll gezeigt, dass er sowohl nach unten, als auch nach oben, deutlichere Ausschläge als seine Peers verzeichnet!

Einige Bewegungen gibt es bei österreichischen Immobilienaktien?
 

Für besonderes Aufsehen hat zuletzt die Nachricht rund um Immofinanz-CEO Ronny Pecik, der sich von seinen Anteilen an Immofinanz (noch mit aufschiebender Wirkung) und S Immo getrennt hat. Mit Aggregate Holdings gibt es einen neuen starken Player am Immobilienmarkt und es bleibt abzuwarten, wie groß das Interesse des Unternehmens an einer Konsolidierung des heimischen Immobilienmarktes ist. Auch die Frage ob bei Aggregate nach dem Erwerb der Beteiligungen an Immofinanz und S Immo immer noch das Interesse besteht Anteile an der CA Immo zu erwerben, ist derzeit noch offen. Zweifelsohne ist derzeit einiges in Bewegung am heimischen Immobilienaktienmarkt!
Das Interesse an den österreichischen Real Estate Titeln scheint jedenfalls bei Investoren sehr groß zu sein, nicht zuletzt da sie teilweise deutlich unter ihrem NAV notieren. CA Immo konnte dank eines hochqualitativen Office-Portfolios im vierten Quartal, ein Neubewertungsergebnis von €205 Mio. verzeichnen, was der Theorie mancher Kommentatoren, wonach das Bürosegment tot ist, deutlich widerspricht. Sowohl im Retailsegment als auch im Officebereich, kam es seit dem Ausbruch der Krise aus unserer Sicht zu teilweise undifferenzierten Verdammungen und Verurteilungen dieser Sub-Sektoren.
Wir sind der Ansicht, dass beide Bereiche je nach Qualität und Lage der jeweiligen Immobilie noch einiges an Potential haben und weiterhin lukrative Chancen bieten. Die heimischen Immobilienunternehmen sind dabei in dieser Hinsicht unserer Ansicht nach sowohl geographisch, als auch qualitativ sehr gut aufgestellt. 

Welche Themen/Trends sehen Sie in Österreich/Europa als besonders interessant an?
 

Ein Phänomen, das wir zunehmend beobachten können ist, dass insbesondere Unternehmen mit starkem ESG (Environmental / Social / Governance) Fokus an der Börse teilweise deutlich zulegen können.
Das allgemeine Interesse an dieser Thematik nimmt immens zu, weshalb viele Unternehmen ihre Aktivitäten und ihre Kommunikation dahingehend zunehmend ausrichten. Vor allem das Thema der Energiewende rückt, nach Bewegungen wie „Fridays for Future“, insbesondere in der europäischen Union immer stärker in den Fokus. In unserer Sektoranalyse vom vergangenen Oktober über die europäische Versorgerbranche, haben wir festgestellt, dass die größten europäischen Player ihre Unternehmensstrategien eindeutig an dem europäischen/weltweiten Ziel der Klimaneutralität ausrichten und in diesem Zusammenhang intensive Investitionspläne ausgearbeitet haben.
Im ATX Prime gibt es mit Verbund und EVN derzeit zwei Versorgungsunternehmen, die bei der Stromerzeugung bereits seit längerer Zeit größtenteils bzw. ausschließlich auf erneuerbare Energieträger setzen, was ihnen einen gewissen Startvorteil verschafft. Insbesondere Verbund fokussiert sich seit jeher auf Energiegewinnung durch Wasserkraft und konnte daher in den letzten Jahren stark von der Themenlage profitieren. Auch EVN sollte indirekt davon profitieren können, hält man doch einen Anteil von rund 12,6% am Verbund. Jedoch kann man dieses Phänomen auch bei großen Oil Majors beobachten, die ihre Unternehmensstrategie überarbeitet haben und zu großen Teilen die Bereiche Strom und erneuerbaren Energieträger ausbauen wollen.
In Österreich geht die OMV einen etwas anderen Weg, indem sie ihr Chemiesegment deutlich ausgebaut hat und durch zahlreiche Maßnahmen deutliche Verbesserungen des eigenen CO² Abdrucks erreichen will. Ob diese beobachteten Shifts eher freiwillig oder gezwungenermaßen geschehen lässt sich nicht immer zweifelsfrei klären, bleibt aber unter dem Strich auch irrelevant. Für viele klimaschädliche Branchen bekommen künstlich verknappte und teurere CO² Zertifikate eine reelle, finanzielle Bedrohung und sie müssen neue Lösungen finden. Auch in den USA erwarten wir, dass das Thema, durch den neuen Präsidenten Biden deutlich an Bedeutung gewinnen wird.

Mit welchen besonderen Herausforderungen sieht sich die fundamentale Aktienanalyse in den aktuellen Zeiten konfrontiert?
 

Die aktuelle Zeit bringt es mit sich, dass die Volatilität an den Märkten sehr hoch ist und das Geschehen zum Teil von einigen makroökonomischen Faktoren, oder wie derzeit im konkreten Fall vom Infektionsgeschehen, dominiert werden.
Fundamentaldaten einzelner Unternehmen und ihre Zukunftsaussichten scheinen hierbei bei manchen Investoren in den Hintergrund zu rücken und sie lassen sich tendenziell stärker von Gefühlen leiten.
Aus unserer Sicht bleibt es hierbei für Aktienanalysten sehr wichtig, sich nicht von gewissen kurzfristigen, temporären Faktoren und Tendenzen verleiten zu lassen und weiterhin auf eine gesamtheitliche, fundamentalbasierte Betrachtung einzelner Aktien zu bauen.
Im selben Atemzug soll dies jedoch nicht bedeuten, dass man an potentiell entstandenen Mantras festhalten sollte und die Veränderung entscheidender makroökonomischer Parameter oder anderer externer Einflussfaktoren außer Acht lassen kann. In der Aktienanalyse bleibt dabei aus unserer Sicht eine intensive und detaillierte Kommunikation mit den analysierten Unternehmen ein entscheidender Faktor, um unternehmensspezifische Entwicklungen schnell erkennen und analysieren zu können.